Ein verkanntes Genie
Wien, 1868. Wir treffen Anton Bruckner in einem Wiener Kaffeehaus. Er lehrt als Professor am Wiener Konservatorium. Er lebt allein, er ist hässlich, gilt als bäurisch und als schwieriger Mensch.
Und doch berührten seine Sinfonien und seine Improvisationen auf der Orgel schon zu Lebzeiten Tausende von Menschen.
Wie Puccini verlor er früh seinen Vater. Dieser war Dorflehrer, Tanzbodengeiger und Tanzlehrer im oberösterreichischen Ansfelden. Schon im Alter von 10 Jahren begleitete er den Gottesdienst.
Nach dem Tod des Vaters geriet die Familie in materielle Not und entsandte Anton Bruckner als Sängerknaben in das nahegelegene Stift St. Florian. Wie sein Vater wurde er Lehrer. Während seiner Studienzeit als Schulgehilfe drückte er sich vor der ebenfalls geforderten Arbeit in Feld und Wald und komponierte lieber auf der Orgel. Diese gilt mit drei Registern und 74 Manualen jahrhundertelang als größte Orgel Österreichs. Nach seiner Abschlussprüfung 1845 kehrte Bruckner als Hilfslehrer zurück an das Stift. Im folgenden Jahrzehnt wird er Stiftsorganist und später Domorganist in Linz. Von 1855 bis 1861 studiert er beim kaiserlichen Hoforganisten Professor Simon Sechter am Wiener Konservatorium. Nach seinem Tode 1868 übernimmt Bruckner dessen Unterricht in den Fächern Harmonielehre, Generalbass und Kontrapunkt. Nebenbei widmet er sich seinen Sinfonien und unternimmt internationale Konzertreisen nach Deutschland, England, Frankreich und die USA. Einzelne Konzerte werden dabei von bis zu 70.000 Menschen besucht.
Für seinen musikalischen Erfolg zahlt Anton Bruckner einen hohen Preis. Selbstzweifel und Schwermut plagen ihn sein Leben lang. Die Wiener Gesellschaft verachtet ihn ob seines bäurischen Auftretens und bezeichnet ihn als halben Trottel und halbes Genie. Sein Schaffensdrang bringt ihn zwischenzeitlich in die Nervenheilanstalt. Er komponiert insgesamt elf Sinfonien und zahlreiche Messen und Vokalwerke. Neben dem „Ecce sacerdos magnus“, das unser Chor beim Jubiläumskonzert interpretieren wird, ebenfalls das „Locus iste“.
Von den Musikkritikern in Wien wird er als Anhänger der Partei Richard Wagners gehandelt, auch wenn er sich von diesem musikalisch deutlich abgrenzte. Brahms sagte über ihn, es handle sich um einen Schwindel, der in ein bis zwei Jahren tot und vergessen sein werde. Breiten Erfolg beim Publikum erreichte er erst mit seiner 7. Sinfonie im Jahr 1885. Neben Brahms und Wagner gilt er als richtungsweisender Komponist des ausgehenden 19. Jahrhunderts, da er die Gattung der Sinfonie als erster Komponist nach Beethoven weiterentwickelte und spätere Komponisten, wie z.B. Gustav Mahler, entscheidend beeinflusste.
1896 stirbt er mit 72 Jahren an den Folgen von Herzschwäche und Diabetes. Sein Leichnam wird einbalsamiert und in der Stiftskirche in St. Florian aufgebahrt. Seine herausragende Bedeutung als Komponist wurde erst posthum im 20. Jahrhundert gewürdigt.